Am Montag kam der Zivildienstleistende wieder zu der alten Dame. Fröhlich wünschte er ihr einen guten Morgen und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Es ging ihr gut, und sie hatte keine Beschwerden. Der junge Mann zog die Schlussfolgerung: „Dann waren Sie gestern sicher außer Haus.“ Die alte Dame bejahte und erzählte, sie sei in der Kirche gewesen, zweimal sogar – morgens zum Gottesdienst und abends zur Andacht. 

Der junge Mann meinte lachend: „Na, dann werden Sie ja noch eine richtige Heilige werden, wenn Sie so weitermachen. Wie war denn die Predigt?“ „Die Predigt war gut, der Pfarrer predigt immer gut,“ war die Antwort. Der Zivi wurde neugierig: „Worüber hat er denn gesprochen?“ Nachdenklich antwortete die Dame: „Ja, worüber hat er gesprochen, es fällt mir bestimmt gleich wieder ein.“ „Na, alles vergessen, nicht wahr?“ hänselte der junge Mann. Mit Nachdruck erwiderte die Dame: „Aber es war eine sehr gute Predigt! Da bin ich ganz sicher.“ Und welcher Text wurde in der Abendandacht gelesen?“ bohrte der Zivi weiter. „An den Inhalt kann ich mich jetzt nicht genau erinnern, aber ich bin mir sicher, es war aus dem Johannes-Evangelium. Es fällt mir gleich wieder ein.“ Amüsiert schüttelte der junge Mann den Kopf und meinte: „Schon alles vergessen? Wozu ist es dann gut, zweimal in die Kirche zu laufen und ...“ 

Nachsichtig unterbrach sie ihn und bat ihn: „Erzählen Sie mir von Ihrem Wochenende. Dann kann ich an Ihren jugendlichen Unternehmungen etwas teilhaben.“ Begeistert sprudelte er los. In der Disco sei er gewesen, mit seiner Freundin. Sehr schön war es. Ein toller Discjockey war da, und es gab spitzenmäßige Musik. Die alte Dame lächelte versonnen und fragte, was es denn für Musik war und welche Titel gespielt wurden. Nachdenklich schaute der junge Mann zu Boden. Zu dumm, warum fiel ihm denn nicht ein einziger Titel ein. 

Er merkte, wie er ärgerlich wurde, und dann spürte er sogar etwas Wut. Doch dann begann er offen zu lächeln, schaute die alte Dame verständnisvoll an und sagte:

„Es ist wahr, Die einzelnen Musikstücke oder Worte sind gar nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass wir beide – jeder auf seine Weise – am Wochenende glücklich waren und dass wir dieses Gefühl behalten.“ Er lächelte noch immer, als er sich von ihr verabschiedete.

(Erzählt von HUM)